Landschaft unter Aufsicht

Die Spannung in Suse Bauers Arbeiten bildet sich in der Dichotomie von bedeutungsaufgeladener Form mit großer, visionärer Geste einerseits und andererseits dem, was entsteht, wenn das Individuum versucht, die Vision in den eigenen Alltag, die eigene Lebenswelt praktisch zu übertragen.

Exemplarisch für diese Pole stehen die beiden Arbeiten: »Erste Verkündung der symbolhaften Anleitung zur Gestaltung der Welt«, eine großformatige Papierarbeit und »En conversation avec les fleurs«, eine Reliefkeramik. Erstere, versehen mit einem Titel, dem die Tendenz zur Selbstauflösung eingeschrieben wurde, strahlt in intensiver Farbigkeit. Ihre subtile Kraft entsteht aus der physischen Erfahrbarkeit der besonderen Oberflächen, die auf vielfältige Weise in das dick aufgetragene Öl gearbeitet sind. Abstrakte Komposition lassen klare geometrische Formen zum figurativen Ausdruck einer dargestellten Szene werden. Die mögliche Figur steht unter Spannung und strebt danach sich im Raum zu materialisieren, bereit zur Verkündigung als performativen Akt. Diese Arbeit verweigert sich den vermeintlichen Zwangsläufigkeiten, die sich aus Formzitaten der klassischen Moderne ergeben und tritt als selbstbewusst heutige Behauptung auf. Bauers Transformationsleistung in den eigenen Kosmos hinein, so wie die forsche Handgemachtheit des Farbauftrags individualisiert die scheinbar große Geste.
Des Pathos und der Explizitheit entledigt, befreit vom unerfüllbaren Auftrag, ist es der Komposition nun erlaubt, zu reflektieren. Es bleibt unbekannt ob es die Vision ist, die sich aufgelöst hat oder ob diejenigen, die ursprünglich angesprochen werden sollten, sich aufgelöst haben.

»En conversation avec les fleurs« – Bronze-matt glasiert schimmert das Relief und scheint bedeutungsaufgeladen. Es beinhaltet, wie es hängt, offensichtlich die Tragik des halb realisierten Vorhabens Körper zu werden. Es ist archäologisches Fundstück der Frühzeit ebenso wie ein zarter Versuch, Würmer von quadratischem Schnitt auf einem Fleischhammer – strukturierten Brotteig zu arrangieren und (denn der Maßstab des möglicherweise Dargestellten bleibt unbekannt) die Luftaufnahme der Landschaft, in der die titelgebende Conversation stattfinden wird. Beide Arbeiten weigern sich, den Informationsgehalt, der ihnen zweifellos innewohnt, dem Unwissenden preiszugeben.

»In welche Höhlen, welchen Schädel sind die Augen eingelassen, die jetzt so auf diese Landschaft sehen… mit denen ich diese Landschaft beaufsichtige..«*

Das Formenrepertoire entwickelt Suse Bauer nach einer individuellen Logik. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem Interesse für das Bedeutungsgefäß, das neben dem Leninmausoleum, genauso eine antike Keramik, der katholische Dom oder der Schrein des Buches sein kann. Sie überträgt all dies in einem hemmungslosen Aneignungsprozess, entwickelt ihre Heraldik jenseits von Rationalität, Historismus und Anwendbarkeit und findet so ihren Umgang mit dem Gewesenen und dem Jetzt . »Damit ist das Einbahnstraßenprinzip der Geschichte suspendiert und das Prinzip der Unwiderrufbarkeit selbst in Frage gestellt. Es geht also nicht um die Figur einer einfachen oder ewigen Wiederkehr, sondern fast um das Gegenteil: Es geht um rückwirkende Anerkennung der Möglichkeit, die zwischen dem Geschehenen und dem Nicht-Geschehenen das Gleichgewicht hält, um die Wiedereinsetzung des Wirbels in die Vergangenheit, bevor diese sich in der einen oder anderen Richtung entschieden hat.«

Suse Bauer produziert innerhalb einer individuellen Heterotopie. Ihr Arbeitsprozess dort kann vielleicht als komplexer, unendlicher Versuch bezeichnet werden, sich diese Welt zu erklären, sie im übertragenden wie im konkreten Sinn handhabbar zu machen. Den Erkenntnisgewinn teilt sie nur in ihren Arbeiten mit, daher ist es richtig und konsequent, wenn sie ihre letzte Ausstellung benennt mit:
»Alles, was von mir »Ich« genannt wird «

(Hans Stützer)

* Heiner Müller aus »Notizheftblätter Mexicoreise 1978«
Ulrike Haß aus »Jenseits der optischen Höhle. Vom Rhythmus des Sehens« aus »Bildbeschreibung. Ende der Vorstellung« Theater der Zeit / Recherchen 29