WOHNSTATT DER STEINE exhibition view at Galerie Conradi 2021

Suse Bauer
Wohnstatt der Steine
Sep 10 – Dez 4, 2021

Elena Conradi & Suse Bauer



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In deiner neuen Ausstellung ziehen drei verzerrte Sockel mit wellenförmigem Profil die
Aufmerksamkeit auf sich. Die Exponate, die sie präsentieren, könnten Skulpturen oder
genauso gut Modelle darstellen. Ihre Oberflächen wirken gegenüber der Scharfkantigkeit der
Podeste irgendwie rau, porös. Sind hier Entwürfe eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbs
ausgestellt? Oder handelt es sich um modernistische Bauideen, angedacht möglicherweise
zur Übertragung in einen anderen Maßstab, an einem anderen Ort …?
Wohnstatt der Steine – der Titel scheint dies anzudeuten.
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Ich hatte sie in meiner Vorstellung als Modelle von Monumentalbauten gedacht, irgendwie
ungebrochen und bedrückend. Mit war wichtig, dass Maßstäblichkeit und Funktion
offenbleiben. Wohnstatt der Steine entstand 2019, nach einer längeren Israelreise. Ich habe
mir brutalistische Architektur überall im Land angesehen, da mich die bauliche Formenwelt
der einstigen Pioniergesellschaft interessierte, auch und gerade wegen einiger Parallelen zur
Formensprache von DDR-Architektur. Nur dass hier der Beton viel umfassender verwendet
wurde und in dieser irrsinnigen Hitze steht. Mich interessieren Vorstellungen von Zukunft.
Mit diesem Bildhauerton, der in feuchtem Zustand an Waschbeton oder sehr groben Putz
erinnert, habe ich Platten gewalzt, aus denen später diese Skulpturen wurden.
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Ich stelle mir vor, Wohnstatt der Steine sind ins Plastische übertragene Entwurfszeichnungen
aus Archiven. Für Bauten, die nie umgesetzt wurden. Weil die Zeiten und Verhältnisse sich
vorher änderten oder die Umsetzung sich als illusorisch und anmaßend erwies.
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Mich interessiert die sozialistische Großbaustelle als Bild und Bühne in zwei literarischen
Werken, in denen sie zur Projektionsfläche für das Scheitern der Utopie an Hierarchie und
bürokratischer Institutionalisierung wird. In der DDR erschien 1964 „Spur der Steine“,1 ein
Roman, nach dessen Motiven Heiner Müller 1964 das Stück „Der Bau“2 schrieb. Es war bis
1980 verboten und Müller selbst bezeichnete es als „ein Stück über die Zerstörung der
Landschaft durch Utopie“. Andrej Platonow schrieb 1930 „Die Baugrube“3, einen Roman,
der wegen der Zensur erst 1987 erscheinen konnte. Darin geht es um ein gigantisches
proletarisches Bauprojekt, das sich nichts Geringeres als die glückliche Zukunft der
Menschheit zum Ziel gesetzt hat und dies durch das Mitwirken Aller und ihrer Hände Arbeit
erreichen will, aber an der Last der Aufgabe scheitert.
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In deinen Arbeiten sind die Dinge auf Dimensionalität, Mehrdeutigkeit und Latenz
angelegt. Das gilt ja übrigens auch für Makers and Takers – die überdimensionalen und
verzerrt wirkenden Geldmünzen oder die Apfelscheiben aus Keramik an den Wänden des
Ausstellungsraums. Größenverhältnisse wirken simuliert, verhandelbar. Alles befindet sich in
dem Status bedingter Gültigkeit, bereit für das nächste Update. Vielleicht ist das
Entwurfhafte auch eine Erklärung dafür, warum bei Wohnstatt der Steine die Tonobjekte nur
einmal gebrannt wurden, ohne den finalen, das Material festigenden Hochbrand?
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Ich ziehe den Begriff Bauten vor, und ja, das ist so. Diese Bauten sind Möglichkeiten, ihre
Vorläufigkeit ist ihnen eingeschrieben, sie sind im Werden festgehalten.
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Bauten also. Während eine andere Keramikarbeit aus der Ausstellung – eine reliefartige
Wandarbeit aus lasiertem Ton – durch ihren Titel Wohnscheibe konkret auf die generischen
Plattenbauten der DDR anspielt, ist Wohnstatt der Steine eine künstlerische Annäherung an
die Idee von Architektur als politischer Vision. In den Bauten der Industriemoderne drückte
sich in der ästhetischen und funktionalen Standardisierung der Architekturen die
gesellschaftliche Übereinkunft darüber aus, das Singuläre dem Gemeinwohl unterzuordnen.
Dann änderten sich auf den Baustellen der Wendezeit die Zuschreibungen. In Beton
gegossenes Wohnen befriedigt heute das Distinktionsbedürfnis urbaner Eliten.
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Das Projekt Plattenbau- oder Neubausiedlung war für meine Eltern persönlich und beruflich
bedeutsam, beide arbeiteten als Bauingenieure in der sogenannten Plattenvorfertigung und
die Wohnung am Stadtrand, in die sie 1980 mit uns einzogen, war im Gegensatz zur
zerfallenen Altstadt modern. Es sah alles gleich aus, deshalb haben wir unseren Balkon mit
Farben angestrichen. So konnte ich meinen Freundinnen vom Spielplatz aus zeigen, wo ich
wohne. In den Innenleben dieser Wohnscheiben war dann Platz für die individuellen
Einrichtungsbedürfnisse des ‚neuen Menschen‘: Holzvertäfelungen, Karibik-Wandposter &
Kuckucksuhr. Baustellen der Wendezeit waren später ebenso Orte meiner Kindheit, als
meine Eltern eine Baufirma gründeten und wir 1991 in die Altstadt von Erfurt zogen. Überall
wurde zügig saniert und nun ist sie fertig: die fein restaurierte Mittelalterstadt. Die
Plattenbausiedlungen wurden teilweise “zurückgebaut“ und sind in der Peripherie vor allem
zu Orten sozialer Spannungen geworden, die sich aus den sozialen Frakturen der
„ostdeutschen Transformationsgesellschaft“4 ergeben haben.
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Der programmatisch klingende Titel lässt an utopistische staatliche Wohnungs– und
Städtebaukonzepte denken: Wohnstatt der Steine könnte ein Arbeitstitel lauten, für eine
großangelegte Ausschreibung neuer öffentlicher Anlagen, Gebäude oder Denkmäler, die hier
als Entwürfe vorgestellt werden.
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Ja, aber ich finde er ist ambivalent, traurig fast. Diese Steine, sie sind eben versteinert, fest.
Alles, was sie noch werden können, ist Staub. Wenn ich über den Titel nachdenke, denke
ich an wüste Landschaft.
Gespräch zwischen Suse Bauer und Elena Conradi
Hamburg, September 2021
1) Erik Neutsch, Spur der Steine, Halle: Mitteldeutscher Verlag 1964.
2) Heiner Müller, Der Bau (1964), 2018.
3) Andrej Platonow, Die Baugrube (1930/1987), Suhrkamp 2016.
4) Steffen Mau, Lütten Klein, Suhrkamp 2020.